Hauptsache praktisch - ein ganz besonderes Weihnachtsfest
Hauptsache praktisch - ein ganz besonderes Weihnachtsfest
Autor: froheweihnachten.info
An einem kalten, frostigen Dezembermorgen - zehn Tage vor Weihnachten - klingelte bei uns das Telefon. Mein Großonkel Gustav war dran und sprach lange mit meiner Mutter. Erst sagt sie: "Ich weiß noch nicht, ob es geht, ich werde noch mit der Familie darüber sprechen. Eigentlich wollten wir über die Feiertage spontan zum Skifahren nach Österreich fahren. Nein, ich verstehe, dass du gerade über Weihnachten ungerne alleine bleiben möchtest. Ich rufe dich heute Abend zurück und sage dir Bescheid."
Abends war unser Schicksal dann besiegelt. Onkel Gustav besucht uns an Weihnachten drei Tage lang! Ausgerechnet dieser exzentrische, eigenbrötlerische alte Herr, der eigentlich auch gar keinen Trubel mochte. Aber Mama sagte, man dürfe gerade an Weihnachten niemanden ausschließen, der sonst einsam und allein zu Hause sitzen würde. Und Skifahren könnten wir ja auch noch über Karneval.
Die Tage vor Weihnachten sind schon unter normalen Umständen stressig. Doch jetzt, da wir wussten, dass uns dieser Miesepeter besuchen würde, gab es noch mehr zu tun und die Weihnachtsvorfreude war zumindest für mich und meine Schwester erst einmal ziemlich gedämpft. Wo würde Onkel Gustav überhaupt schlafen? Wir hatten doch gar kein Gästezimmer mit freiem Bett mehr. Wahrscheinlich würde ich auf einer Matratze im Zimmer meiner Schwester schlafen müssen und er in meinem Bett. Das waren ja super Aussichten.
Die Tage bis Weihnachten vergingen wie im Flug und schon war der heilige Abend da. Nachdem wir als Familie im Heiligabendgottesdienst waren, alle frisch geduscht und in unseren schicksten Kleidern fuhren wir zum festlichen Abendessen nach Hause. Meine Schwester Anna und ich halfen unserer Mutter beim Tischdecken und Kochen, während unser Vater im Wohnzimmer noch mit dem Aufstellen und Schmücken des Weihnachtsbaums beschäftigt war. Dann klingelte es an der Tür.
Onkel Gustav war da. Er trug einen schwarzen, langen Wintermantel und einen dunklen Hut und war sichtlich außer Atem. In den Händen hielt er einen Wäschekorb, in dem er die verpackten Weihnachtsgeschenke transportierte. Schon hörten wir seine nörgelnde Stimme: "Kinder, ihr habt vielleicht eine steile Treppe hier draußen. Ich komme ja kaum hoch, so bepackt wie ich bin." Meine Mutter verdrehte innerlich vermutlich die Augen und meinte: "Wir hätten den Korb auch aus deinem Auto holen können. Du hättest uns ja Bescheid geben können. Komm erst mal rein"
Der Senior betrat das Haus und sah sich suchend um: "Wo ist denn dein lieber Gatte?"
"Ach, Reinhardt ist im Wohnzimmer und schmückt den Baum."
"Dann will ich ihn mal begrüßen", meinte Gustav und öffnete die verschlossene Glastür zum Wohnzimmer. "Einen wunderschönen guten Abend", sagte er mit einer etwas übertrieben wirkenden Fröhlichkeit. "Wo hast du dich denn versteckt, Reinhard?"
Plötzlich kam Bewegung in die mannshohe Blaufichte. Sie wogte hin und her und krachte dann nach links zu Boden. "So ein Mist", schimpfte mein Vater über das Unglück, dass ihm der Baum aus den Händen gerutscht war. "Und dummerweise ist der Baum auch noch mitten in die Schachteln mit den Glaskugeln gefallen".
Von den weihnachtlich bunten Christbaumkugeln war leider nicht mehr viel übrig. Viele von ihnen lagen zerbrochen in den Schachteln.
Gustav besah sich das Unglück und meinte: "Wo bin ich denn hier nur hingeraten! Lass mich das lieber machen, Reinhard."
Tatsächlich hatte er einige gute Tipps auf Lager, um den Baum korrekt im Weihnachtsbaumständer zu befestigen. Eine Stunde später war es endlich geschafft, der Baum stand, die Scherben waren verschwunden und die Familie saß harmonisch am festlich gedeckten Tisch. Gustav schmeckte der Braten vorzüglich und dies ließ ihn sogar eine Weile seine sonstigen Meckertiraden vergessen.
Nach dem Essen gingen wir alle ins Wohnzimmer hinüber, um die Geschenke zu übergeben und uns am hell erleuchteten Weihnachtsbaum zu freuen.
Ganz so prächtig wie sonst sah der Baum ja diesmal leider nicht aus, weil nur drei Kugeln den zu Boden gehenden Baum heil überstanden hatten.
"Jaja, früher war mehr Lametta und es gab noch mehr Kugeln am Baum. Aber wartet mal ab, was ihr sagt, wenn ihr die Geschenke auspackt."
Onkel Gustav hatte sich offenbar wirklich Gedanken gemacht, was wir so brauchen könnten.
Mein Vater packte einen brandneuen Nasenhaarschneider aus. Onkel Gustav meinte, so etwas könne man ja immer gebrauchen. Papa dachte wohl im Stillen, er hätte eigentlich noch nie Probleme mit zu langen Nasenhaaren gehabt, aber er bedankte sich höflich bei seinem Großonkel. Meine 12-jährige Schwester Anna machte große Augen, als sie eine Benjamin Blümchen-CD auswickelte - Benjamin Blümchen rettet den Kindergarten. Offenbar hatte Gustav unser Alter nicht mehr ganz im Blick gehabt. Ich bekam von ihm immerhin einen praktischen Brieföffner aus Holz mit einer scharfen Klinge. "Vielen Dank, das ist ja ein sehr praktisches Geschenk", meinte ich zu ihm. Meine Mutter erhielt überraschenderweise einen Pappkarton mit 30 vakuumverpackten, kleinen Mettwürstchen, die alle in einer Reihe aneinanderhingen. "Etwas für schlechte Zeiten, meine Liebe. Die halten lange vor. Ich weiß wovon ich spreche, wir wären so dankbar gewesen, wenn wir damals mitten im Krieg noch Würste gehabt hätten." "Da hast du absolut Recht, Gustav, meinte meine Mutter "und das beste daran ist, ich kann sie auch gleich heute schon verwenden". Sie ging in die Küche und kam mit einem scharfen Messer und Bindfaden zurück. "Schaut mal, als Baumschmuck machen sie sich auch ganz hervorragend." Sie trennte die Mettwürstchen jeweils einzeln ab und hängte sie mit dem Bindfaden am Weihnachtsbaum auf. Gustav musste schmunzeln, wie wir anderen auch.
"So einen Weihnachtsbaum hatten wir wirklich noch nie", meinte meine Schwester grinsend. Onkel Gustav packte seine Geschenke ebenfalls aus und war sichtlich zufrieden mit den neuen Handschuhen und der warmen Wintermütze. Während sich alle mit ihren Geschenken beschäftigten, schlich sich unser schwarzer Labrador Tom heimlich zum
Weihnachtsbaum hin, war dort eine ganze Weile still beschäftigt und legte sich anschließend zufrieden auf den Teppich.